Pandemiekritiker begründen steigende Fallzahlen mit der steigenden Anzahl von PCR-Tests und damit eine Fehleinschätzung der Pandemie. Ist der Verdacht begründet?

Aus den Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) bzgl. der wöchentlichen Zunahme der Gesamtanzahl der durchgeführten PCR-Tests zur Zunahme derer mit positiven Ergebnis, zeigt keine generelle Abhängigkeit im Gesamtverlauf. Lediglich in einem Fall (KW 12) ist eine Abhängigkeit deutlich sichtbar. Weitere Artefakte sind aber nicht detektierbar. Damit kann die Zunahme an positiven Tests nicht allein mit der Zunahme an der Gesamttestanzahl, bis auf eine Ausnahme, begründet werden. Der Vorwurf, es würde sich bei der aktuellen Corona-Pandemie um eine Testpandemie handeln, kann mit den Zahlen des RKI nicht belegt werden.

Abstract

Gleich zum Anfang der Pandemie, als Eindämmungsmaßnahmen erlassen wurden, meldet sich Dr. Wolfgang Wodarg​*​ in einem YouTube-Video und auf seiner Homepage dazu zu Wort. Seine Kernaussage war, dass man die Corona-Fälle in den Krankenhäusern und der Sterbestatistik nicht bemerken würden, wenn man nicht danach testen würde. Man würde also gar nicht das Corona-Infektionsgeschehen beobachten, sondern nur das Testgeschehen der Virologen und Epidemiologen, die einen Virus beobachten, der auf die Übersterblichkeit keinen Einfluss hat. Man beobachte also eine Art „PCR-Testpandemie“. Die Sterbestatistik hat dann aber Wodargs Aussage widerlegt, auch wenn das Wodarg bis heute nicht anerkennt. Er schreibt die Übersterblichkeit anderen Ursachen zu.

Im Zusammenhang mit diesem eher qualitativen Vorwurf wurde in sozialen Medien ein quantitativer Einwand diskutiert:

Je man mehr testet, desto mehr Positive findet man.

Wenn es nach Annahme der Kritiker keine (deutliche) Zunahme an Infizierten gibt, ist dies ein nachvollziehbare Vorwurf. Daraus leiten sie weiter ab: Durch Zunahme der Tests findet man auch die Infizierten, die man mit weniger Tests übersehen hätte. Man messe damit lediglich eine „Pandemie“ der positiven PCR-Tests, die auf die erhöhte Testhäufigkeit begründet wäre und keine Infektionspandemie. Somit käme man zu einer Fehleinschätzung des Infektionsgeschehens.

Daraus ergibt sich die Frage, die hier beantwortet werden soll:

Ist die Zunahme der positiven Tests, nur mit der Zunahme der Testhäufigkeit zu begründen und nicht mit der Zunahme der Infektionen und kann das zu einer Fehleinschätzung dieser Pandemie führen?

Ein weiterer Kritikpunkt wäre die Menge an falsch-positiven Tests, die eine Verfälschung des Infektionsverlaufs hervorrufen könnte. Hier soll aber nur die Abhängigkeit zur Messhäufigkeit betrachtet werden.

Methodik

Um die Kernfrage zu beantworten muss man sich die Anzahl der positiven Tests im Vergleich zu den Gesamttests anschauen. Die Daten werden vom RKI wöchentlich online zur Verfügung gestellt ​[1]​ und in der nachfolgenden Grafik visualisiert.

Abb. 1: Gesamtanzahl vs. positive PCR-Tests ​[2]​
Abb. 1: Gesamtanzahl vs. positive PCR-Tests ​[2]​

Leider ist die obige Grafik für die Beantwortung der Frage nicht aussagekräftig. Aufgrund der unterschiedlichen Skalierung beider Y-Achsen kann man die Änderung in der Anzahl der positiven Tests im Bezug auf die Änderungen der Testhäufigkeit nicht ausreichend gut ablesen. Durch Normierung kann man die Testhäufigkeit in die Anzahl der postiven Tests integrieren und diese dann mit den Rohdaten vergleichen.

Hier wird eine Normierung auf 100.000 Tests vorgenommen. Diese gibt mehr Aufschluss über den Einfluss der Testhäufigkeit auf die Anzahl positiver Tests. Damit kann der Pandemieverlauf unabhängig von der Änderung der Anzahl an Gesamttests abgebildet werden..

Hier wird zweierlei untersucht:

  1. Die Gegenüberstellung der absoluten positiven (nicht-normiert) mit den auf 100.000 Tests normierten positiven Tests. Sollten beide Kurven stark voneinander abweichen – schlechte Korrelation – ist eine signifikante Abhängigkeit des Pandemieverlaufs von der Testhäufigkeit sehr wahrscheinlich. Der berechnete Korrelationskoeffizient quantifiziert die Korrelation. Auch kann hier die Dynamik beider Kurvenverläufe verglichen werden.
  2. Die Gegenüberstellung der relativen Änderung der nicht-normierten mit den normierten positiven Tests in Bezug zur Vorwoche. Hier lassen sich Einzelwochen beobachten.
    Weichen bei diesem Vergleich beide Werte einer Kalenderwoche stark voneinander ab, muss man von einer Abhängigkeit der positiven Tests von der Testhäufigkeit ausgehen. Besonders deutlich wäre das, wenn die Anzahl der nicht-normierten Tests steigen und die normierten sinken würden.

Ergebnis

Abbildung 2 zeigt die gesamten positiven (nicht-normierten) Tests im Vergleich zu den auf 100.000 Tests normierten positiven Tests. Die Dynamik und der Verlauf beider Kurven ist vergleichbar. Abweichungen sieht man am Anfang des Beobachtungszeitraums, die aber keinen signifikanten Einfluss auf die Dynamik des Verlaufs haben.

Abb. 2: Positive Tests (nicht normiert) vs. positive Tests pro 100.000 Tests (normiert) ​[2]​
Abb. 2: Positive Tests (nicht normiert) vs. positive Tests pro 100.000 Tests (normiert) ​[2]​

Der Korrelationkoeffizient beider Kurven ist hier 0,94 und belegt eine starke Korrelation:

Abb. 3: Korrelation von nicht-normierten und normierten Tests ​[2]​
Abb. 3: Korrelation von nicht-normierten und normierten Tests ​[2]​

Die Änderungen bezogen auf die Vorwoche erlauben eine detailliertere Betrachtung, die auch Einzelwochen beurteilbar macht. Beide Säulen einer Woche sollten sich nicht signifikant in ihrer Höhe unterscheiden oder gar auf auf unterschiedlichen Seiten der Y-Achse stehen (z.B. positiver Verlauf der nicht-normierten aber negativer Verlauf der normierten Positiven). Andernfalls muss man von einer Abhängigkeit von der Testhäufigkeit ausgehen.

Abb. 4: Relative Änderung der nicht-normierten zu den normierten positiven Tests zur Vorwoche ​[2]​
Abb. 4: Relative Änderung der nicht-normierten zu den normierten positiven Tests zur Vorwoche ​[2]​

Aus der Beobachtung der Zunahmen fällt nur ein Wertepaar besonders auf – die der 12 Kalenderwoche. Hier steigen von der 11. zur 12. KW die positiven Tests um 214%, während die normierten Positiven lediglich um 15% steigen.

Der Peak in der 25. KW zeigt den Tönnies Ausbruch.

Alle Zahlen und Berechnungen sind online unter ​[2]​ verfügbar und werden dort weitergeführt.

Diskussion

Der Vergleich der absoluten, nicht-normierten mit den normierten positiven Tests in Abbildung 2 zeigt, dass in der Summe die Kurve der nicht-normierten positiven gut mit der Kurve der auf 100.000 normierten positiven Tests korreliert. Die Dynamik ist bei beiden Kurven vergleichbar. Bei einer starken Abhängigkeit von der Testhäufigkeit hätten sich der Verlauf und die Dynamik beider Kurven deutlich unterschieden.

Bei der Betrachtung der Einzelwochen über die relativen Zunahmen/Abnahmen der normierten und nicht-normierten Tests zeigt sich ein Artefakt:

Abb. 5: Relative Änderung der nicht-normierten zu den normierten positiven Tests zur Vorwoche (12. KW) ​[2]​
Abb. 5: Relative Änderung der nicht-normierten zu den normierten positiven Tests zur Vorwoche (12. KW) ​[2]​
Abb. 6: Differenz der relativer Änderung nicht-normierter zu normierten positiven Tests zur Vorwoche
Abb. 6: Differenz der relativen Änderung nicht-normierter zu normierten positiven Tests zur Vorwoche

Die positiven Tests stiegen von der 11. zur 12. KW um 214%, während die auf 100.000 Tests normierten Positiven lediglich um 15% stiegen. Das ist eine Differenz von fast 200%. Das lässt darauf schließen, dass dieser Wert unter starken Einfluss der Testhäufigkeit steht.

Für den Gesamtverlauf ist das nur von geringer Bedeutung. Der Korrelationskoeffizient von 0,94 bestätigt die starke Korrelation des Gesamtverlaufs und die Dynamik des Kurvenverlaufs aus Abbildung 2 hat dieser Wert keinen signifikanten Einfluss.

Weitere Artefakte sind nicht zu beobachten.

Fazit

Aus den Daten des RKI lassen sich, unter den Bedingungen des Kritikervorwurfs, keine Belege herleiten, dass die veränderte Testhäufigkeit von Woche zu Woche einen signifikanten Einfluss auf die Beurteilung der Pandemie hat. Lediglich ein Wert weist eine signifikante Abhängigkeit auf. Auf den Kurvenverlauf und die Dynamik der Pandemie hat das im beobachteten Zeitraum keinen merklichen Einfluss.

Interessante Links

Quellen

  1. [1]
    “RKI Situationsbericht – Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland,” RKI. [Online]. Available: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Testzahl.html
  2. [2]
    Schlafschaf, “Google Tabelle Anzahl Gesamt- und positiver PCR-Tests pro Woche,” PCR-Tests, 01-Aug-2020. [Online]. Available: https://docs.google.com/spreadsheets/d/1advGeuwt-sj6EbpknDUMnpRI0oM6eA-4EW1MZW8eFDs/edit?usp=sharing

  1. ​*​
    Facharzt für Innere Krankheiten – Pneumologie, Facharzt für Hygiene – Umweltmedizin und Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen – Sozialmedizin

Nachtrag

6.9.2020

Im Artikel Einfluss der PCR-Testanzahl ab der 32. KW wurden die weiteren Wochen beurteilt. Hier zeigte sich bei einigen Wochen eine Abhängigkeit der positiven Tests von der Testhäufigkeit.